Aufsatz
Hüttenbau im Hochalpinen. Zur Architektur der Schutzhütten

in: Deutscher Alpenverein, Österreichischer Alpenverein, Alpenverein Südtirol (Hg.): Hoch Hinaus! Wege und Hütten in den Alpen
Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag
2016

S. 121-201
„Man kann sich dem Schutzhütten-Thema annähern wie ein jüngst erschienener National Geographic-Band, indem diese bildgewaltig, einnehmend und atmosphärisch als „Sehnsuchtsorte“ erzählt sind. Doch ist der Hütten- und Wegebau in den Ostalpen ein kultur- und architekturhistorisches Phänomen, als solches eine technisch hochanspruchsvolle Angelegenheit, außerdem eine Denkmal- sowie eine Naturschutzaufgabe. Da muss man genauer hinsehen – und das tut der von drei Alpenvereinen herausgegebene, voluminöse Zweibänder. In dem sorgfältig gemachten, schön ausgestatteten und als Begleitbücher zur gleichnamigen Ausstellung erschienenen Kompendium stellen sich der Deutsche, Österreichische und Südtiroler Alpenverein im ersten Band ihrer Geschichte als auch den Aufgaben der Gegenwart und nehmen zudem im zweiten Band eine nach Gebirgsgruppen gegliederte Bestandsaufnahme von nahezu 1800 vorhandenen oder aufgelassenen Schutzbauwerken aller möglicher Kategorien vor. Damit wurde für architektonisch und kulturwissenschaftlich interessierte Alpinisten ein Buchschatz geschaffen, der mit dem belohnt, was Bergsteigende immer suchen, nämlich „Überblick“.
Der Volkskundler Martin Scharfe erklärt zunächst die kaum auflösbaren Widersprüche, die jeder Alpenerschließung seit dem 18. Jahrhundert eingesenkt sind: Es steht die Einsamkeit entgegen dem Massenansturm, die Widrigkeit der Natur der geglückten Bezwingung, die Einfachheit der Unterkünfte dem smarten Luxus neuer Hütten. Ausgangspunkt waren aber immer Infrastrukturmaßnahmen, das Wege-Bauen und das Häuser-Errichten. Welchen Konventionen dabei „Erschließung und Erhaltung“ unterworfen sind, beschreiben Martin Achrainer, Stefan Ritter und Florian Trojer. Die Architekturgeschichte des hochalpinen Hüttenbaus, die Doris Hallama ausbreitet, macht sich fast wie ein Buch im Buch: Sie definiert den Typ des Schutzbaus, zeigt die Entwicklung vom Einraum zur ganzen Hüttenanlage, beschreibt deren stilistische Codierungen zu unterschiedlichen (politischen) Zeiten, verfolgt Standortdiskussionen und führt in die Gegenwart zu den Neubauten unter Umweltschutzauflagen. Bundesdenkmalpflegerin Michela Frick erläutert die Denkmaldiskussion – beginnend mit dem Damensalon der Berliner Hütte im Zillertal –, eine der ersten Unterschutzstellungen in den 1990er Jahren, die zu einer Schwerpunktbildung im Tiroler Denkmalschutz führte. Der nächste Abschnitt gilt dem Hütten-Alltag zwischen Wanzen und Rosshaarmatratzen, den Vera Bedin schildert – übrigens auch in der Ausstellung sehr schön nachvollzogen: Das Leben in den Hochalpen ist im Aufstieg beschwerlich, in der Hütte bewusst karg und dabei ziemlich gesellig. Solche Ausstellungsstücke, die Nichteingeweihten die bisweilen seltsamen Praktiken wie das freiwillige Schlafen auf harten Pritschen mit kratzenden Wolldecken so anschaulich machen, bebildern überdies die von Friederike Kaiser begleiteten Fotostrecken im ersten Band.
Aber die Hütte ist eben nur die eine Seite der Alpenerschließung, die andere ist der Wegebau, der freilich bis heute dem selben Spannungsbogen zwischen einsamer Bezwingung und massentouristischer Ermöglichung, zwischen der „Demokratisierung“ der Berge und deren „Naturschändung“ unterworfen ist – so nachzuverfolgen im Beitrag von Gebhard Bendler. Der einzige Nachteil, den diese zwei empfehlenswerten Bände haben: Sie sind zu schwer, um sie zur nächste Besteigung oder bei einem Hüttenabend mit sich zu tragen. Dafür geben die Herausgeber die passende Übersichtskarte über all die Schutzbauwerke im Ostalpenbogen, vom Bregenzer- bis zum Wienerwald, mit obendrauf.“
Eva Maria Froschauer
in: Bauwelt 1.2018